Architekturfotografie

... wenn selbst die Kirchenmauern vor Dir flüchten ...

Tante Gerti mag die Architekturfotografie nicht sonderlich, denn das hört sich schon so öde an. Wenn Du ihr auch sonst nur ungern Recht geben magst, irgendwie gehts Dir da schon ähnlich. Schöne Kirchen, alte Häuserzeilen in der Toskana, verfallene Ruinen oder romantische Burgen an der Mosel zu fotografieren, ist ja auch was anderes...

Es fühlt sich anders an, ist aber auch ein Teil der “langweiligen” Architekturfotografie.

So wirst Du Dich während Deiner Urlaubsreise durch die verlassenen
Altstadtgassen Pulas in Istrien nicht nur ständig über Deine notorisch nörgelnde Tante Gerti aufregen, sondern so ganz nebenbei architekturfotografisch Urlaubsbilder schiessen. Spätestens wenn Du die morbide Kapelle am Rande der Altstadt einmal ohne Tante Gerti davor ganz aufs Bild bekommen willst, steckst Du schon mittendrin im Problem der beiden "V´s".

Ein Foto aus meinem Online-Album der Digital-Fotogalerie, Rubrik “Istrien - Kroatien”.

Ein Foto aus meinem Online-Album der Digital-Fotogalerie, Rubrik “Istrien - Kroatien”. Das Bild zeigt das alte Amphitheater in Pula (übrigens baugleich zu dem Colosseum in Rom...). Als Kamera kam meine Minolta Dimage 7 zum Einsatz, Brennweite 65mm 1/250 sec. f16 ISO 200 plus Polfilter. Durch die waagerechte Haltung der Kamera, kommt es hier nicht zu stürzenden Linien.

Wie gehst Du klassischerweise vor, um die Kapelle zu fotografieren? Um die schöne Spitze mit aufs Bild zu bekommen, zoomst Du praktischerweise auf Weitwinkel und weil das meistens auch nicht so wirklich reicht, kippst Du Deine Kamera leicht nach oben. Alles ist drauf und später auf dem Monitor Deines Blechottos alles schief. Die geraden Mauern der alten Kirche flüchten gemeinsam mit dem Kirchturm wüst nach hinten weg. Vielleicht haben sie ja Tante Gerti entdeckt und wollten abhauen; besser Du hättest sie für die Kirche nicht sichtbar in der Nebengasse versteckt. Leider hilft das in diesem Fall nicht.

Es sind die zwei V´s,

Verzerrung und Verzeichnung.

Eine perspektivische Verzerrung ist die Darstellung senkrechter Linien eines Gebäudes als nicht senkrecht, sondern gekippt (meistens stürzend oder nach hinten flüchtend). Das passiert dann, wenn die Sensor-Ebene nicht parallel zu den vertikalen und/oder horizontalen Linien des Gebäudes liegt. Falls Du nun wütend überlegst, Deine DSLR an der Wohnzimmerwand zu zerschmettern, habe ich hier einen kleinen Dämpfer für Dich:

Du bist schuld!

Die Verzerrung verursachst Du selbst durch das Kippen der Kamera, "um alles draufzubekommen". Dieser Effekt tritt ebenso bei sündhaft teuren Objektiven auf, wenn die Kamera nicht parallel bzw. waagerecht zum Motiv ausgerichtet wird.


Verzeichnung bedeutet, daß gerade Linien, besonders die am Bildrand, gekrümmt abgebildet werden. Die Verzeichnung ist ein Fehler des Objektivs und tritt besonders bei Zoom- Objektiven (besonders bei den kleinen Digicams) auf. Sie erscheint bei diesen Brennweiten mal nach aussen gewölbt, wie eine Tonne (tonnenförmige Verzeichnung) oder kissenförmig nach innen gewölbt. Bei Vielen Zooms geht der Bereich von tonnenförmiger Verzeichnung in Weitwinkelstellung über eine relative Normalstellung im mittleren Brennweitenbereich zu einer kissenförmigen Verzeichnung im Telebereich. Dagegen hilft leider auch kein Abblenden. So gesehen sind Zoomobjektive für "saubere" Architekturaufnahmen eher ungeeignet. Verzeichnungen fallen auch bei Landschaftsaufnahmen mit geradem Horizont, beispielsweise am Meer deutlich auf, dagegen sind sie bei Portraits oder Fotos mit vielen unterschiedlichen Strukturen kaum wahrnehmbar.

Ein Foto aus meinem Online-Album der Digital-Fotogalerie, Rubrik “Am Darss im Herbst”

Ein Foto aus meinem Online-Album der Digital-Fotogalerie, Rubrik “Am Darss im Herbst”. Eine alte Häuserzeile in Stralsund. Fotografiert mit meiner Casio Exilim EX-V7, Brennweite 70mm 1/60 sec. f5,6 ISO 400.
Durch die waagerechte Haltung der Kamera kommt es hier nicht zu stürzenden Linien. Allerdings ist, perspektivisch bedingt, ein leichtes Kippen nach rechts zu erkennen (wenn Du ganz genau hinschaust...). Um dem alten Charme des Hauses gerechter zu werden, habe ich das Foto etwas entfärbt.

Was kannst Du unternehmen, um bessere Architekturfotos zu bekommen?
 
Gegen die Verzeichnung kannst Du wenig unternehmen, ausser Dir eine teure Kamera mit Spezial-Festbrennweiten zuzulegen.
Bei der Verzerrung ist Dein Einfluß deutlich größer. Die kostenintensive Version für analoge SLR ist ein Shift-Objektiv, das sich durch einen Schraubmechanismus aus der optischen Achse verschieben (to shift) lässt, und zwar so, daß der gewünschte Ausschnitt ausgewählt werden kann, ohne daß stürzende Linien entstehen.
Aufgrund des
CROP- Faktors gibt es derzeit keine bezahlbaren Shift-Objektive für APS-C- Sensoren und somit nicht für die überwiegende Zahl der am Markt befindlichen DSLR im Konsumerbereich.

Die zweite Variante ist das waagerechte Fotografieren des Gebäudes.
Hier hilft z.B. zusätzlich die
digitale Panoramafotografie weiter. Nimm einfach einzelne "gerade" Einzelfotos auf und setz sie später am Blechotto zum Panorama zusammen.

Die dritte Version ist das nachträgliche Entzerren am Blechotto via Bildverarbeitungsprogramm.
Das Freewareprogramm namens
ShiftN erledigt diese Aufgabe zum Teil sogar automatisch und sehr präzise.

clickheregruen

ShiftN

Die Architekturfotografie umfasst viele Bereiche.
Im professionellen Bereich ist sie eng verbunden mit der Industriefotografie. In Planungsphasen umfasst die Architekturfotografie das Fotografieren von Modellen zur Darstellung eines geplanten Bauvorhabens und geht später weiter mit der Dokumentation realer Baufortschritte. Das klingt für Tante Gerti viel zu abstrakt und ist im freizeitmäßigen Fotoeinsatz eher selten.

Wenn Du die Architektur einer typischen
Altstadtgasse im Herzen Sienas fotografieren möchtest, versuch etwas von dem Flair der Situation einzufangen. Dein Foto kann die knatternden Roller, das allgegenwärtige Gemurmel und den "Duft der Luft" ebensowenig abbilden, wie Deine leicht beflügelte Urlaubsgrundstimmung. So kann es schnell zur großen Enttäuschung kommen, wenn Dein Foto später auf dem Monitor "nur" eine alte schäbige Häuserzeile zeigt, die an vielen Stellen noch hoffnungslos unterbelichtet ist. Konzentriere Dich auf wesentliche Merkmale der Szenerie und versuch auch sogenannte Schlüsselaspekte mit ins Foto zu bauen. Das kann die alte Frau auf dem noch älteren Holzstuhl vor ihrem Hauseingang sein, die ganz typisch etwas von der Geschichte ihres Hauses preisgibt. Oder die morbide Laterne an der abblätternden Hauswand, die vor vielen Jahren einmal eine inzwischen verblichene alte Werbetafel beleuchtete. Gleiches gilt für das natürliche Umfeld eines Objektes. Das Wasserschloss wird erst dann richtig wirken, wenn auf Deinem Foto auch etwas vom Wasser zu sehen ist und nicht nur die Mauern. Die einsame Bergkapelle zeigt ihre Schönheit umso mehr, wenn die umgebende Einsamkeit auf Deinem Foto sichtbar wird.

Die Sisternen von Siena, tief unter der Stadt.

Die Sisternen von Siena, tief unter der Stadt.
Fotografiert mit meiner Minolta Dynax 5D, Brennweite 28mm 1/30 sec. f3,5 ISO 400.
Bei so einem Motiv sind weder Verzeichnungen, noch Verzerrungen ein sichtbares Thema.


Welche Einstellungen solltest Du an Deiner Kamera wählen, was solltest Du beachten?
 
Das ist je nach Situation natürlich unterschiedlich, grundsätzlich hält Dein Motiv aber eher still...

Darum:
- möglichst vom Stativ mit kleiner Blende (f11, f16) fotografieren, um mehr Schärfe und
Schärfentiefe zu bekommen
- ideale Einsatzmöglichkeit für
HDR- Fotografie, um Helligkeitsunterschiede abzumildern
- ideale Einsatzmöglichkeit für
Panoramafotografie, um stürzende Linien zu vermeiden (Verzerrungen)
- Einsatz von Blitz (geräten) bringt meistens aufgrund der Entfernung und Größe des Objektes nicht viel, besser darauf verzichten
- Verzeichnungsfreie Festbrennweiten sind Zooms vorzuziehen, darum besser mit DSLR fotografieren (Shift- Objektive sind ideal)
- Achte auf eine überlegte Standortwahl (waagerecht zum Objekt, ggf. Umfeld miteinbeziehen, falls wichtig für´s Bild)
 

In Rom, der Stadt der Architektur.....

In Rom, der Stadt der Architektur.....
Fotografiert mit Casio Exilim EX V7, Brennweite 35mm 1/400 sec. f5,6 ISO 100.


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Aus meiner Serie Toskana, entstanden vor vielen Jahren in San Gimignano auf Diafilm.

Aus meiner Serie Toskana, entstanden vor vielen Jahren in San Gimignano auf Diafilm. Mit einem Diadulikator digitalisiert.

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